Spanien wurde in den letzten Oktobertagen von heftigen Regenfällen getroffen, die ganze Regionen im Osten und Süden des Landes unter Wasser setzten. Flüsse schwollen an, Straßen verwandelten sich in Flüsse. Die Wassermassen rissen u.a. Autos, Bäume und Häuserteile mit sich. Lokal verstärkten Gewitter mit Hagel die Schäden.
Besonders betroffen war die Region rund um Valencia, wo es die meisten der inzwischen über 200 zu beklagenden Toten gegeben hat. Weiterhin sind Straßen gesperrt und Bahnlinien außer Betrieb, vielerorts werden noch Menschen vermisst.
Wie kam es zu diesen extremen Niederschlägen?
Auslöser Höhentief – ein Kaltlufttropfen
Zum Ausgleich von Temperaturunterschieden zwischen den warmen Subtropen und den kalten Polargebieten, findet in der Atmosphäre ständig ein Austausch von Luftmassen statt. Dieses geschieht in Hoch- und Tiefdruckgebieten, in denen die Luft nicht nur horizontal sondern auch vertikal verwirbelt wird.
Im Übergangsbereich zwischen warmer Luft im Süden und kalter Luft im Norden findet sich in der freien Atmosphäre oberhalb von 5 km der Jetstream (oder auch Strahlstrom), ein Starkwindband, das zeitweise weit nach Süden ausgreift. Der dabei entstehende Tiefdrucktrog ist von Norden her mit Kaltluft angefüllt, die bei ihrem Weg Richtung Subtropen gerade im Herbst über noch sehr warmes Land und Wasser gelangt.
Häufig trennen benachbarte Hochdruckgebiete aus diesem Trog ein eigenständiges, mit Kaltluft angefülltes Tief ab, den sogenannten Kaltlufttropfen. Der Prozess wird im Englischen als “cut-off” bezeichnet. In Spanien benennt man dieses mit “gota fría” (=”kalter Tropfen”) oder auch “Dana”, als Abkürzung für “depresión aislada en niveles altos” (“isoliertes Tief in hohen Schichten”).
Cut-off am 25.10.2024 – und das Unheil begann
Aus dem am 24.10.2024, 00 UTC, im 500 hPa-Niveau von Grönland bis an den 40. nördlichen Breitenkreis reichenden Tiefdrucktrog, um den der Jetstream verlief, hat sich im Südteil ein eigenständiges Höhentief abgespaltet: ein Kaltlufttropfen.
Aus einem Trog tropft ein eigenständiges Tief aus, 500 hPa-Analysekarte, 24. und 25.10.2024, jeweils 00 UTC (Quelle: Berliner Wetterkarte)
Dieses Höhentief verlagerte sich weiter nach Süden und blieb mehrere Tage über dem Südwesten Europas aktiv.
Lage des Kaltlufttropfens (Höhentief) im 500 hPa-Niveau, 26.10.2024 bis 02.11.2024, jeweils 00 UTC (Quelle: Berliner Wetterkarte)
Dort, wo anfangs in etwa 5,5 km Höhe Temperaturen um -15°C gemessen wurden, machte sich Kaltluft mit Temperaturen unter -20°C, teils unter -25°C breit. Im Bodenniveau aber herrschte fast noch Sommer, 20°C, teils über 25°C meldeten die Stationen in weiten Teilen Spaniens am 24. Oktober als Höchsttemperatur. Und auch vor der Ostküste des Landes brachte es das Mittelmeer an der Oberfläche auf Wassertemperaturen von 20 bis 23°C.
Unten warm, oben kalt – was bedeutet das in der Atmosphäre?
Wird Luft in Bodennähe zum Beispiel durch Sonneneinstrahlung erwärmt, so steigt sie auf, weil sie eine geringere Dichte aufweist als die umgebende Luft und damit leichter ist. Die Schichtung der Atmosphäre wird labil.
Das Gleiche passiert auch, wenn sich in der Höhe Kaltluft sammelt und es im Bodenniveau warm ist, die Atmosphäre wird labilisiert. Damit steigt die Warmluft vom Boden, ähnlich wie in einem Schornstein, um so weiter auf, je kälter es in der Höhe über der warmen Schicht am Boden ist.
Ist die aufsteigende Luft zusätzlich mit Wasserdampf angereichert, kondensiert dieser beim Aufsteigen der Luft, weil sich diese beim Aufsteigen ausdehnt und dabei abkühlt. Die Energie, die zur Verdunstung von Wasser bei der Bildung des Wasserdampfes gebraucht wurde, wird wieder frei und sorgt als sogenannte latente Wärme zusätzlich für die Beschleunigung des Hebungsprozesses.
Im aktuellen Fall lag der Kaltlufttropfen teilweise so über der Iberischen Halbinsel, dass auf seiner Vorderseite die über dem westlichen Mittelmeer mit Feuchtigkeit angereicherte warme Luft unter die Kaltluft in der Höhe gelenkt wurde (Tiefdruckgebiete werden auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn umströmt). Damit entstanden örtlich explosionsartig hochreichende Schauer- und Gewittercluster, die in kurzer Zeit einzelne heftige Schauer und Gewitter, teils mit Hagel auslösten. Durch die sich über mehrere Tage nur wenig ändernde Position des Höhenwirbels kam es in weiten Teilen im Osten Spaniens zu einer länger anhaltenden Regenperiode.
Der Satellitenbildloop zeigt, wie sich die Wolken im Bereich des Höhentiefs gegen den Uhrzeigersinn eindrehten, und es mit auflandigem Wind lokal zu starken konvektiven Entwicklungen und damit Schauern und Gewittern mit Hagel kam.
Folge stündlicher Meteosat-Bilder vom 25.10.2024, 00 UTC, bis 02.11.2024, 06 UTC (Quelle: Berliner Wetterkarte)
Radiosondenaufstiege helfen bei der Prognose
Welches Potential für die Entwicklung von Gewittern in der Atmosphäre vorhanden ist, zeigen die Messungen bei Radiosondenaufstiegen, die in sogenannten Temps dargestellt werden. Das Skew T – log (p) – Diagramm verdeutlicht die Temperatur (rote Linie) und die Luftfeuchtigkeit (anhand des Taupunkts, grüne Linie) in verschiedenen Höhen (Druckflächen).
Ein mit den Bedingungen am Boden aufsteigendes feucht-warmes Luftpaket kühlt sich (vereinfacht gesagt) beim Aufsteigen entsprechend der gelben Linie (Pseudoadiabate) ab, es bleibt im Beispiel damit immer wärmer als die Umgebungsluft, deren Temperatur die rote Kurve repräsentiert. Und steigt damit weiter auf.
Die Fläche zwischen den beiden Kurven (gelb markiert) gibt die maximale verfügbare potentielle Energie für Konvektion an (englisch CAPE = “Convective Available Potential Energy”). Hohe CAPE-Werte > 2000 J/kg zeigen an, dass ein Luftpaket sehr stark gehoben werden kann. Bei gleichzeitig deutlich negativem, auf Labilität hinweisendem “Lifted Index” (LI), sind heftige Gewitter möglich.
Für die Station Murcia (WMO ID 08430), südlich von Valencia, lässt sich aus dem Radiosondenaufstieg vom 29.10.2024, 12 UTC, die labile Schichtung der Atmosphäre und die mögliche Entwicklung von schweren Gewittern mit Hagel ablesen (CAPE > 2000 j/kg und LI < -8 K).
Radiosondenaufstieg, 29.10.2024, 12 UTC, Station Murcia (WMO ID: 08430) (Daten: AEMET)
Lokal Starkregen
Besonders die Stadt Utiel am meist nur wenig Wasser führenden Rio Magro traf es bei Starkregen und Gewittern am 29. Oktober 2024. Aus dem Fluss wurde ein reißender Strom, der sich seinen Weg durch die engen Innenstadtstraßen bahnte und dabei Autos wie Spielzeug aufeinanderstapelte. 207 l/m2 in 24 Stunden waren es hier.
24-stündige Niederschlagsmenge, 29.10.2024, 06 UTC – 30.10.2024, 06 UTC (Daten: AEMET)
Niederschlagsmenge akkumuliert
Laut spanischem Wetterdienst AEMET (Agencia Estatal de Meteorología) sind zwischen 23. und 29.10.2024 im Osten Spaniens teils 200 bis 300 l/m2 Niederschlag registriert worden. Örtlich gab es Meldungen von mehr als 400 l/m2. Damit sind in den betroffenen Regionen stellenweise mehr als 300 % des im Monat Oktober normalerweise dort zu erwartenden Niederschlags gefallen.
Akkumulierte Niederschlagsmenge vom 23. bis 29.10.2024 (Quelle: Spanischer Wetterdienst, AEMET)
Auch um den Monatswechsel hielt die Niederschlagstätigkeit im westlichen Mittelmeerraum an. Nicht nur in Teilen von Ostspanien sondern vor allem in Andalusien und auf Mallorca kamen bis zum 02.11.2024, 06 UTC, um 100 l/m2 hinzu.
72-stündige Niederschlagsmenge in l/m2 vom 30.10.2024, 06 UTC bis 02.11.2024, 06 UTC (Quelle: AEMET)
Der Fluss Guadalquivir bei Córdoba, aufgenommen am 2.11.2024 (Foto: priv. T. Pohl-Schwarzkopf)
Jederzeit wieder?
Wetterlagen wie diese kommen im Herbst im Südwesten Europas häufiger vor, doch nicht immer in diesem Ausmaß. Überflutungen nach Starkregen im Bereich eines Kaltlufttropfens im September 2019 mit 200 bis 400 l/m2 am 12. und 13.09.2019 galten damals als die heftigsten seit über 30 Jahren. Fünf Jahre später ist das nun schon überholt.
Kaltlufttropfen über dem Alborán-Meer, 500 hPa-Analysekarte, 12.09.2019, 00 UTC (Quelle: Berliner Wetterkarte)
Mit zunehmender Erwärmung von Land und Wasser und damit der unteren Luftschichten in den Sommermonaten wird mit einer Häufung solcher Wetterlagen im Herbst zu rechnen sein.
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